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Unerwartet

Die Bilder aus Minsk erstaunen. Es muss ein historischer Moment sein. Diese Bilder habe ich nicht erwartet. Mehr noch, ich habe sie für nicht möglich gehalten. Unglaublich!


Vor ca. zehn Jahren habe ich 22 Monate im damals größten Projekt des deutschen Maschinenbaus auf dem Territorium der Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion als Baustellenleiter gearbeitet, ehe mich die Wunderwaffe der deutschen Seite aus dem Rennen nahm. In diesen 22 Monaten habe ich verschiedene Menschen kennengelernt.


Offene oppositionelle Meinungen habe ich nie gehört. Es gab mal ein vereinzeltes Wort zum personellen Umfang des Sicherheitsapparates. Es gab mal ein vereinzeltes Wort zu den Gebäuden des Sicherheitsapparates mitten im Stadtzentrum. Der Sicherheitsapparat war allgegenwärtig. In unserem Büro haben wir mal auf wundersame Weise erlebt, wie die Leuchtstoffröhren über uns plötzlich Musik von sich gaben. Die Büros des Sicherheitsapparates befanden sich auf der gleichen Etage wie das Büro des Hauptingenieurs und der Direktion. Die Mitarbeiter des Sicherheitsapparates waren für uns in aller Regel nicht sichtbar, unterzeichneten aber ebenso alle Verträge wie die Fachabteilungen. In wenigen Fällen nahmen sie an der Morgenrunde des Projektes teil; der Hauptingenieur siezte sie, wodurch sie für uns erkennbar wurden. (In weißrussischen Produktionsbetrieben wird von oben nach unten geduzt und von unten nach oben gesiezt. Ganz konsequent und für westliches Verständnis zumindest ungewöhnlich.)


Bei den Präsidentenwahl 2010 kam es nach der Wahl ebenfalls zu Unruhen, was uns überraschte, da wir nie eine wirklich oppositionelle Meinung gehört hatten. Aber wir gehörten auch nicht dazu. Wir waren Ausländer. Wir waren Lieferant und dadurch auch Überwachungsobjekt, weil jedes große Projekt vom Sicherheitsdienst überwacht wird. Die Unruhen dauerten damals einen Abend. Es folgten Verhaftungen und zwei Sendungen im Staatsfernsehen, bei denen ausführlich erklärt wurde, wer die Anführer waren, mit wem sie in Kontakt standen etc. Unangenehme Propaganda mit dem Ziel zu diskreditieren. Wenige Monate nach der Wahl gab es einen Anschlag in der Minsker Metro (mit Opfern), zu dem die Schuldigen praktisch innerhalb von 24 h ermittelt und benannt wurden. (Sie (zwei junge Männer) wurden später zum Tode verurteilt und hingerichtet.)


Bei den Protesten in diesem Jahr fühlte ich mich unweigerlich an die Ereignisse von vor zehn Jahren erinnert. Und ich fühlte mich an die Ausweglosigkeit dieser Proteste erinnert. Entscheidend ist sicher der Generalstreik aller großen Werke des Landes – dabei auch unser damaliger Kunde das Minsker Traktorenwerk (MTZ). Irgendwie erinnert Weißrussland mehr an das Polen von 1982 als an die DDR von 1989. Der Weg ist ungewiss. Der Ausgang ist ungewiss. Das Ziel ist formuliert und wird noch oft ergänzt und umformuliert werden.

MTZ
MTZ
Forderungen
Forderung von MTZ

Forderungen von MTZ

  1. Annullierung der gefälschten Wahlen und Durchführung neuer Wahlen des Präsidenten und des Parlamentes der Republik Weißrussland in Übereinstimmung mit internationalen Forderungen und unter der Kontrolle von Beobachtern, einschließlich ausländischen Beobachter.
  2. Lustration aller Machtorgane, der Zentralen Wahlkommission und Massenmedien, mit besonderem Augenmerk auf die bewaffneten Organe, das Gerichtssystem und das Innenministerium.
  3. Auflösung des OMON …
  4. Freilassung aller während der Proteste festgenommenen …

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