Jaroslawl-2-2012

Weihnachten an der Wolga

Im Maschinen- und Anlagenbau sind die Menschen viel unterwegs – auch an Feiertagen. Dennoch gibt es so etwas wie ein eisernes Gesetz, dass die Menschen Weihnachten zu Hause sein müssen. Es kann sein, dass sie zwischen Weihnachten und Silvester mit irgendeinem Umbau beschäftigt sind, aber Weihnachten ist quasi für die Familie reserviert.


Mein Weihnachten 2012 war anders. Meine damalige Firma hatte einen Auftrag zur Verlagerung zweier Linien aus Stuttgart nach Jaroslawl an Land gezogen und kurz vor Ablauf des Jahres, wollte wir liefern. Anfang Dezember schickten wir eine Teillieferung von 27 LKW mit ca. 300 Tonnen Gewicht auf zwei verschiedenen Routen auf den Weg. Die schweren Maschinen wurden per Seefracht über St. Petersburg nach Moskau gesendet. Schaltschränke, Portale, Späneförderer gingen ganz normal direkt per LKW auf die Reise. Alle Sendungen sollten am 17. Dezember in Moskau beim Zoll eintreffen, um im Block entzollt werden zu können. Nach der Entzollung sollten sie entladen, entpackt und grob auf der Fläche positioniert werden – so der Plan.


Nachdem wir alles versendet hatten, flogen wir an den Bestimmungsort der Lieferung in das Motorenwerk Jaroslawl (JAMZ = Jaroslwasky Motorny Zavod) und rissen die Positionen der Maschinen an. Danach schalteten wir in den Wartemodus. Am 17. Dezember trafen natürlich nicht, wie geplant, alle LKW beim Zoll ein. Ein Fahrer hatte es nicht geschafft. Unser Zeitplan war auch so schon unrealistisch knapp und so setzten wir uns eine Deadline. Wenn die Lieferung nicht am Freitag, den 20.12. entzollt wäre, würden wir nach Hause fahren und nach den Feiertagen zurückkommen. Der fehlende Fahrer traf am 19.12. ein und entgegen jeder Erfahrung und entgegen unseren Erwartungen erfolgt die Entzollung der gesamten Lieferung ohne nochmalige Nachfragen am Freitag, den 20.12., kurz nach Mittag, quasi kurz vor Wochenende und Toresschluss. Für mich war es der ungünstigste anzunehmende Fall. Bedingt durch das vorgerückte Datum hatte mein Kollege die Heimreise angetreten. Mit Eingang der freudigen Nachricht verließen auch alle Mitarbeiter unseres Auftraggebers den Ort des Geschehens, um am Telefon erreichbar zu sein. Super, super cool. Und ich konnte nicht weg, musste die Lieferung in Empfang nehmen, eine Kopie der Frachtpapiere jedes LKW mit Kundenbestätigung über den Erhalt der Ware einsammeln und … einfach nur da sein.


Die Entladung der Lieferung erledigte eine Moskauer Firma und JAMZ für uns, die sich auch aus vorhergehenden Projekten gekannt haben müssen. Die Moskauer Firma hatte ein Portal, welches wohl 100 Tonnen oder mehr heben konnte. Daher auch der Name der Firma 100tonn. In Russland gab es zum damaligen Zeitpunkt nur fünf Firmen, die über ein Portal dieser Art verfügten. Es ist unerlässlich, um schwere Maschinen in Hallen mit begrenzter Höhe entladen zu können. Sie waren super organisiert und hatten genügend Leute mit, um zwei Schichten abdecken zu können.


Die ersten LKW trafen noch am Nachmittag ein und so begann die Entladung. Irgendwann am frühen Abend, die zweite Schicht war bereits am Arbeiten, verließ ich den Ort des Geschehens. Die zweite Schicht hatte mir versichert, dass sie die Sache voll im Griff hatten und es gab keinen Grund für mich, daran zu zweifeln.


Als ich am nächsten Morgen wieder im Werk eintraf, war die 2. Schicht immer noch aktiv und hatte bereits alle schwere Maschinen entladen. Die LKW wären in der Nacht im Pulk angekommen. Zuerst wären die schweren Maschinen entladen worden. Besonders problematisch wäre das Hineinfahren der Tieflader in die Halle gewesen, da hierfür eine 5°-Rampe überwunden werden musste. Schnee und die Geometrie hätten die Einfahrt schier unmöglich gemacht, da die Tieflader teilweise aufsaßen, aber sie hätten es irgendwie geschafft. Russen eben. Die normalen LKW warteten noch und wurden, soweit ich mich erinnern kann alle an diesem Sonnabend entladen. Es war eine gelöste Stimmung. Alle Fahrer hatten eine ganz reale Chance bis Weihnachten nach Hause zu kommen – lebensnotwendig für polnische und für viele der weißrussischen Fahrer ebenso. Und die Kollegen von 100tonn hatten eine ebenso reale Chance, entspannt bis Silvester nach Moskau zu kommen. Alle waren erschöpft aber dennoch zufrieden.


In den folgende drei Tagen wurden die Holzkisten aufgeschnitten, die Maschinen entnommen und an ihre zukünftigen Standorte gerollt. Pünktlich am Weihnachtsabend waren wir damit fertig. Meine Bescherung erfolgte via Skype und am ersten Weihnachtsfeiertag kam auch ich nach Hause. Es war eine Heimfahrt, wie am sie von Sonntagen her kennt – absolut entspannt.

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Es war die Wolga. Es waren mit minus dreißig Grad. Richtiger Winter, ein Riesenabenteuer und der Einstieg in mein bestes Projekt auf russischem Boden. Hier kam alles zusammen – eine traumhafte Stadt (Teil des Goldenen Ringes), eine traumhafte Wohnung (150 m bis zur Wolga / 150 m bis zum historischen Zentrum), ein gutes Verhältnis/ Vertrauen zum Werk, gute Infrastruktur (Es gab viele Firmen für die Beschaffung von Ersatzteilen und Komponenten.) und die Unterstützung des Himmels (Wir brachten die Anlagen mit Hilfe unsere Nachauftragnehmer und der Instandhaltung des Kunden wirklich zum Laufen.)

Jaroslawl-8-2012
Jaroslawl, 2012

Links

https://hoermann-rawema.de/
https://www.ymzmotor.ru/
https://100tonn.com/

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